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Europäische Netzwerknutzungsgebühren: Mehr als nur ein Konflikt zwischen Big Tech und großen Telekommunikationskonzernen

07.05.2023

Lesezeit: 14 Min.

In Europa wird derzeit eine wichtige Debatte geführt, die sich auf die Zukunft des Internets auswirken könnte. Die Europäische Kommission erwägt neue Regeln dafür, wie Netzwerke im Internet miteinander verbunden werden. Es wird über Vorschläge nachgedacht, die im Fall ihrer Umsetzung das Internet für die Verbraucherinnen und Verbraucher verlangsamen werden und gefährlich für das Internet insgesamt sind. Und das ist keine Übertreibung.

Die großen etablierten Telekommunikationsunternehmen (TK-Unternehmen) beschweren sich lautstark bei jedem, der es hören will, dass sie für die von ihnen getätigten Investitionen nicht angemessen entschädigt werden. Bei diesen Firmen handelt es sich um eine Reihe von ehemals regulierten Monopolisten, die auf dem heutigen Wettbewerbsmarkt in Europa gemessen am Umsatz in ihrer Branche immer noch führend sind. Ihren Angaben zufolge steigt das Datenverkehrsaufkommen – vor allem aufgrund von Videostreaming – rapide an, weshalb sie Investitionen tätigen müssen, um Schritt zu halten. Aus diesem Grund fordern sie neue Abgaben für große US-amerikanische Tech-Unternehmen. Diese Netzwerke sollen einen „gerechten Beitrag“ zu den Investitionen in die europäische Internetinfrastruktur leisten, so die Argumentation.

Als Reaktion auf diese Kampagne hat die EU-Kommission im Februar eine Reihe von Handlungsempfehlungen und Vorschlägen veröffentlicht. Diese zielen darauf ab, dass „bis 2030 alle europäischen Haushalte über eine Gigabit-Netzanbindung verfügen und alle besiedelten Gebiete über Netze mit mindestens 5G entsprechender Leistung versorgt sind“. Die EU-Kommission führt weiter aus: „Eine zuverlässige, schnelle und sichere Konnektivität ist eine Voraussetzung für alle und überall in der Union, auch in ländlichen und abgelegenen Gebieten.“ Dieses Ziel ist zwar sicherlich richtig, doch leider endet unsere Übereinstimmung mit dem Ansatz der EU-Kommission an dieser Stelle auch schon. Wie eine eingehende Lektüre des Texts zu der die Vorschläge für Gigabit-Anschlüsse begleitenden Sondierungskonsultation der EU-Kommission zeigt, besteht das Ziel letztlich in einem Eingriff in den Markt, der die Verbindung verschiedener Netzwerke untereinander regelt. Die Absicht ist, große Technologiefirmen dazu zu bringen, Gebühren  an führende etablierte TK-Unternehmen zu zahlen.

Diese Debatte ist als Konflikt zwischen Big Tech und den führenden europäischen TK-Anbietern beschrieben worden. Doch es geht um viel mehr als das. Entgegen ihrer Absicht würden diese Vorschläge im Falle ihrer Umsetzung den Schwergewichten unter den Technologieunternehmen einen bevorzugten Zugang zu den größten europäischen Internetanbietern verschaffen. Demgegenüber würden europäische Verbraucherinnen und Verbraucher sowie kleine und mittelständische Betriebe auf der Kriechspur landen, wenn sie im Internet auf Inhalte zugreifen, die nicht den großen Technologieunternehmen (Netflix, Google, Meta, Amazon usw.) gehören. Im Folgenden wird erläutert, weshalb wir bei Cloudflare, obwohl wir von den derzeit erwogenen Zusatzgebühren nicht betroffen wären, diese für das Internet als gefährlich erachten:

  • Netzwerknutzungsgebühren würden Überholspuren für Big Tech-Inhalte und Kriechspuren für alles andere schaffen und das Internet für die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher verlangsamen;
  • Derzeit profitieren kleine und mittelständische Firmen, Internet-Start-ups sowie Verbraucherinnen und Verbraucher von den niedrigen Preisen für Großkunden-Breitbandzugang in Europa. Regulatorische Eingriffe in diesen Markt hätten einen Preisanstieg zur Folge, der an die KMU und Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben würde;
  • Das Internet funktioniert am besten, also am schnellsten und zuverlässigsten, wenn Netzwerke frei und möglichst oft miteinander verbunden sind. Außerdem sollten Inhalte und Dienste in größtmöglicher Nähe zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern bereitgestellt werden. Netzwerknutzungsgebühren schränken die Bemühungen, Inhalte in der Nähe der Nutzerinnen und Nutzer bereitzustellen, künstlich ein und verschlechtern so das Interneterlebnis für die Verbraucherinnen und Verbraucher.

Warum die Zusammenschaltung von Netzwerken wichtig ist

Um nachzuvollziehen, warum die Debatte in Europa für die Zukunft des Internets von Bedeutung ist, muss man verstehen, wie der Internet-Traffic zu den Endnutzerinnen und Endnutzern gelangt. Außerdem sollte man wissen, welche Schritte zur Verbesserung der Internet-Performance unternommen werden können.

Wir bei Cloudflare wissen eine Menge darüber. Nach Angaben von Hurricane Electric ist Cloudflare über 287 Internet-Knoten (Internet Exchange Points – IXPs) mit anderen Netzwerken verbunden. Es handelt sich um die zweithöchste Zahl unter allen Netzwerken rund um den Erdball. Außerdem sind wir in mehr als 285 Städten in über 100 Ländern direkt mit anderen Netzwerken im Internet verbunden. Wenn uns also ein Vorschlag zur Änderung der Art und Weise, wie Netzwerke zusammengeschaltet werden, zu Ohren kommt, horchen wir auf. Was die EU-Kommission in Erwägung zieht, mag auf den ersten Blick lediglich auf die direkte Beziehung zwischen TK-Anbietern und großen Technologieunternehmen abzielen. Doch wir wissen, dass die Pläne viel weitreichendere Auswirkungen haben werden.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Netzwerke im Internet Daten austauschen. In einigen Fällen verbinden sie sich für den Datenaustausch ihrer Nutzer direkt miteinander. Dies wird als Peering bezeichnet. Cloudflare verfolgt einen Ansatz des offenen Peering. Wir gehen mit jedem anderen Netzwerk ein Peering ein. Peering bedeutet nur einen Hop zwischen Netzwerken – das ist der Goldstandard. Je geringer die Zahl der Hops, desto schneller und zuverlässiger funktioniert in der Regel die Datenübertragung. Wir sind mit mehr als 12.000 Netzwerken auf der ganzen Welt auf abrechnungsfreier Basis verknüpft. Das heißt, dass kein Netzwerk das andere für die Übertragung von Daten bezahlt. Dieses abrechnungsfreie Peering ist einer der Aspekte der Geschäftstätigkeit von Cloudflare, der es uns ermöglicht, Millionen von Nutzerinnen und Nutzern weltweit eine kostenlose Version unserer Dienste anzubieten. Diese erlauben es Menschen ebenso wie kleinen und mittelständischen Unternehmen, Websites zu betreiben, die schnell und effizient laden und besser vor Cyberangriffen geschützt sind. Später wird noch näher auf die Vorteile des abrechnungsfreien Peering eingegangen.

Abbildung 1: Der Traffic nimmt einen von drei Wegen zwischen dem Internetanbieter (Internet Service Provider - ISP) einer Endnutzerin oder eines Endnutzers und dem Inhalt oder Dienst, auf den er zuzugreifen versucht. Der Datenaustausch kann über ein direktes Peering laufen, also eine Verknüpfung, die nur zwischen dem ISP und dem Inhalts- oder Dienstanbieter besteht. Er kann aber auch über einen Internet-Knoten erfolgen, der als Anschlusspunkt für mehrere Netzwerke fungiert. Drittens kann er über einen Transit-Provider abgewickelt werden, der für die Weiterleitung des Traffics über sein Netzwerk an den gewünschten Ort im Internet bezahlt wird.

Wenn Netzwerke nicht direkt miteinander verbunden sind, bezahlen ihre Betreiber möglicherweise einen Drittanbieter für die Weiterleitung ihres Datenverkehrs über sein IP-Transitnetzwerk. Kein Netzwerk ist mit jedem anderen Netzwerk im Internet verbunden. Deshalb spielen Transitnetzwerke eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, zu gewährleisten, dass jedes Netzwerk von jedem anderen Netzwerk erreicht werden kann. Ihre Betreiber werden dafür bezahlt. Im Allgemeinen bezahlt ein Netzwerk seinen Transitanbieter auf Grundlage der Traffic-Menge, die dieser weiterleiten soll. Cloudflare ist mit über 12.000 anderen Netzwerken verbunden. Doch es gibt mehr als 100.000  Autonome Systeme (Netzwerke) im Internet, sodass wir Transitnetzwerke nutzen, um den „Long Tail“ zu erreichen. Das Cloudflare-Netzwerk (AS 13335) stellt zum Beispiel die Website cloudflare.com jedem Netzwerk zur Verfügung, das sie anfordert. Wenn eine Nutzerin oder ein Nutzer eines kleinen Internetanbieters, mit dem Cloudflare keine direkten Verbindungen unterhält, cloudflare.com über ihren oder seinen Browser anfordert, wird ihr oder sein ISP wahrscheinlich einen Transitanbieter nutzen, um diese Anforderung an Cloudflare zu senden. Cloudflare würde dann auf die Anfrage antworten und den Inhalt der Website über einen Transitprovider an die Nutzerin oder den Nutzer zurücksenden.

In Europa spielen Transitanbieter eine entscheidende Rolle, weil viele der größten etablierten TK-Unternehmen keine abrechnungsfreien direkten Peering-Verbindungen verwenden wollen. Daher interagieren viele europäische Verbraucherinnen und Verbraucher, die große etablierte TK-Unternehmen für ihren Internetdienst nutzen, über Transitnetzwerke von Drittanbietern mit den Services von Cloudflare. Das ist zwar nicht der Goldstandard für die Zusammenschaltung von Netzwerken (das wäre das schneller und zuverlässiger funktionierende direkte Peering), funktioniert aber in den meisten Fällen ausreichend gut.

Cloudflare würde sich natürlich über eine direkte Verbindung zu TK-Unternehmen in der EU freuen, da wir einen Ansatz des offenen Peering verfolgen. Wie wir zeigen werden, würden sich sowohl die Performance und Zuverlässigkeit für ihre Kunden als auch die Inhalte und Dienste unserer Kunden deutlich verbessern. Und würden uns die TK-Unternehmen Transitdienste – also die Möglichkeit, Datenverkehr an ihr Netzwerk und weiter ins Internet zu senden – zu Marktpreisen anbieten, würden wir die Nutzung dieser Dienste als Teil der wettbewerbsorientierten Anbieterauswahl in Betracht ziehen. Es ist zwar bedauerlich, dass die etablierten TK-Unternehmen ihre Dienste nicht zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten, aber insgesamt funktionieren der Zusammenschaltungsmarkt in Europa – und das Internet selbst – derzeit gut. Das sehen nicht nur wir so: Das Gremium europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK, englisch Body of European Regulators for Electronic Communications, BEREC), schrieb kürzlich in einer vorläufigen Bewertung:

Die Erfahrungen des GEREK zeigen, dass das Internet seine Fähigkeit unter Beweis gestellt hat, mit dem zunehmenden Datenverkehrsaufkommen, den Veränderungen bei den Nachfragemustern, der Technologie und den Geschäftsmodellen sowie der (jeweiligen) Marktmacht einzelner Akteure fertig zu werden. Diese Entwicklungen spiegeln sich in den IP-Zusammenschaltungsmechanismen des Internets wider, die sich ohne regulatorische Eingriffe entwickelt haben. Die Fähigkeit des Internets, sich selbst anzupassen, war und ist ein wesentlicher Faktor für seinen Erfolg und seine Innovationsfähigkeit.

Es gibt einen Wettbewerbsmarkt für IP-Transit. Laut dem Bericht „State of the Network 2023“ des Marktanalyseunternehmens Telegeography lagen „die niedrigsten [angebotenen Preise für] 100-Gigabit-Ethernet-[IP-Transitdienste in Europa] bei 0,06 US-Dollar pro Mbit/s und Monat“. Diese Beträge stimmen mit den Beobachtungen von Cloudflare auf dem Markt überein. Unserer Meinung nach sollte die EU-Kommission stolz auf den effektiven Wettbewerb auf diesem Markt sein und ihn schützen. Diese Preise sind mit den IP-Transitpreisen in den Vereinigten Staaten vergleichbar und signalisieren insgesamt ein gesundes Internet-Ökosystem. Wettbewerbsfähige Preise für Großkunden-Breitbandzugang (Transitpreise) bedeuten, dass es für kleinere unabhängige TK-Unternehmen einfacher ist, in den Markt einzutreten, und dass die Preise für alle Arten von Internetanwendungen und -diensten sinken.

Die großen etablierten TK-Unternehmen streben ein Eingreifen der Regulierungsbehörden an, weil sie nicht bereit sind, faire Marktpreise für den Transit zu akzeptieren. Sehr große TK-Unternehmen und Anbieter von Inhalten und Anwendungen (englisch Content and Application Providers, CAPs) – der Begriff, den die EU-Kommission für Netzwerke verwendet, die über die von den Verbraucherinnen und Verbrauchern gewünschten Inhalte und Dienste verfügen – verhandeln frei über Transit und Peering. Unserer Erfahrung nach verlangen die großen etablierten TK-Unternehmen Peering-Gebühren, die ein Vielfaches dessen betragen, was ein CAP für einen ähnlichen Dienst an Transitnetzwerke zahlen würde. Zu den angebotenen Preisen nutzen viele Netzwerke – darunter auch Cloudflare – weiterhin Transitanbieter, anstatt die etablierten TK-Unternehmen für Peering zu bezahlen. Die TK-Anbieter versuchen, die CAPs durch Regulierung in diese Beziehungen mit künstlich hohen Preisen zu zwingen.

Sollte der Vorschlag der EU-Kommission angenommen werden, wird der Preis für die Netzwerkzusammenschaltung in Europa künftig wahrscheinlich nicht mehr durch den Markt, sondern durch eine entsprechende Verordnung bestimmt. Sobald es einen Preis für die Zusammenschaltung zwischen CAPs und Telekommunikationsunternehmen gibt, der entweder auf dem Verhandlungsweg oder – was wahrscheinlicher ist – durch ein Schiedsgericht festgelegt wird, dürfte dieser Preis de facto für alle Zusammenschaltungen gelten. Denn wenn TK-Anbieter bei den größten CAPs künstlich hohe Preise erzielen können, warum sollten sie dann bei anderen Netzwerken – einschließlich Transitnetzwerken – deutlich niedrigere Preise akzeptieren, um sich mit ihnen zu verbinden? Anstatt, dass sinkende Großkundenpreise die Internet-Innovation ankurbeln, wie es zurzeit in Europa und den Vereinigten Staaten der Fall ist, werden steigende Großkundenpreise an kleine und mittelständische Unternehmen und Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden.

Netzwerknutzungsgebühren: Eine Überholspur für Big Tech auf Kosten von Verbrauchern und kleineren Dienstleistern

Wenn Netzwerknutzungsgebühren Realität werden, wird sich das derzeitige Interneterlebnis der Nutzerinnen und Nutzer in Europa verschlechtern. Ungeachtet der bestehenden Vorschriften zur Netzneutralität erleben wir schon jetzt, dass große TK-Unternehmen Inhalte von Transitanbietern auf bereits stärker beanspruchte Verbindungen verlagern. Wenn die größten CAPs für die Zusammenschaltung zahlen, wird der für andere Netzwerke bestimmte Verbraucher-Traffic auf eine langsame und/oder überlastete Verbindung verwiesen. Netzwerke, die nicht zahlen, würden weiterhin Transitanbieter nutzen, um die großen etablierten TK-Unternehmen zu erreichen. Diese Transitverbindungen würden aber gegenüber dem bezahlten Traffic nachrangig behandelt. Bestehende Transitverbindungen würden (noch stärker) beansprucht werden und die Datenübertragung (noch) langsamer abwickeln. Ein auf Netzwerkgebühren basierendes System, das nur auf die größten CAPs abzielt, würde perverserweise und entgegen der Absicht des Vorschlags die Position dieser CAPs an der Spitze zementieren, weil er die Verbrauchererfahrung für diese Netzwerke auf Kosten aller anderen verbessern würde. Sollte die EU-Kommission vorschreiben, dass die CAPs die großen etablierten TK-Unternehmen für das Peering bezahlen, würde sie die Diskriminierung von Diensten fördern, die kleinere Netzwerke und Organisationen nutzen, die mit den Ressourcen der großen CAPs nicht mithalten können.

Tatsächlich gibt es bereits Anzeichen dafür, dass einige der großen etablierten TK-Anbieter Transitnetze stiefmütterlich behandeln, wenn es um den Internet-Traffic geht. Im November 2022 berichtete HWSW, eine ungarische Tech-Nachrichtenseite, von wiederkehrenden Internetproblemen bei Nutzern von Magyar Telekom, einem Ableger der Deutschen Telekom. Grund war eine Überlastung der Verbindung zwischen der Deutschen Telekom und ihren Transit-Netzwerken:

Ein Netzwerkproblem, das während eines ziemlich genau definierten Zeitraums auftritt, meist zwischen 16 Uhr und Mitternacht ungarischer Zeit, (…) aufgrund einer Überlastung der Verbindung (Level3) zwischen der Deutschen Telekom, der Muttergesellschaft, die die internationalen Peering-Routen von Magyar Telekom betreibt, und Cloudflare. Daher sind nicht nur ungarische Abonnenten betroffen. Das Phänomen tritt vielmehr in größerem oder geringerem Ausmaß bei allen Tochtergesellschaften der Deutschen Telekom auf, die, wie Magyar Telekom, mit der Muttergesellschaft verbunden sind. (übersetzt von Google Translate)

Schon seit vielen Jahren machen große TK-Unternehmen deutlich, dass die Aufrechterhaltung der Qualität des Datenverkehrs, der sie über Transitnetzwerke erreicht, für sie keine hohe Priorität hat. Im Jahr 2015 verklagte der Transitanbieter Cogent die Deutsche Telekom bezüglich einer Zusammenschaltung und schrieb: „Die Deutsche Telekom hat den freien Fluss des Internet-Traffic zwischen Cogent-Kunden und ihren eigenen Kunden behindert, indem sie sich geweigert hat, die Kapazität der den Datenaustausch ermöglichenden Zusammenschaltungsports zu erhöhen.“

Abgesehen von den Auswirkungen auf die Verbraucherinnen und Verbraucher scheint die Einführung von Netzwerknutzungsgebühren gegen die Verordnung der EU über das offene Internet zu verstoßen, die manchmal auch als Netzneutralitätsverordnung bezeichnet wird. In Artikel 3 Absatz 3 der Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung des Zugangs zum offenen Internet heißt es:

Anbieter von Internetzugangsdiensten behandeln den gesamten Verkehr bei der Erbringung von Internetzugangsdiensten gleich, ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, sowie unabhängig von Sender und Empfänger, den abgerufenen oder verbreiteten Inhalten, den genutzten oder bereitgestellten Anwendungen oder Diensten oder den verwendeten Endgeräten. (Hervorhebung hinzugefügt)

Gebühren von bestimmten Quellen von Inhalten im Austausch für private Übertragungswege zwischen den CAPs und großen etablierten TK-Unternehmen scheinen ein klarer Verstoß gegen diese Bestimmung zu sein.

Netzwerknutzungsgebühren würden die Vorteile des abrechnungsfreien Peering infrage stellen

Lassen Sie uns nun über das Ökosystem sprechen, das zu einem gut funktionierenden und gedeihenden Internet führt. Wir haben zunächst über den Transit gesprochen. Jetzt kommen wir zum Peering, das für das Funktionieren des Internets von zentraler Bedeutung ist. Unter „Peering“ versteht man die direkte Verbindung zweier Netzwerke (z. B. Backbones, CDNs, Mobilfunknetze oder Breitbandverbindungen von TK-Anbietern) zum Austausch von Datenverkehr. Fast immer erfolgt das Peering unentgeltlich („abrechnungsfrei“) in Anerkennung der Performance-Vorteile und der Ausfallsicherheit, über die wir gleich sprechen werden. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage unter mehr als 10.000 ISPs hat ergeben, dass 99,99 % des Datenverkehrs abrechnungsfrei ausgetauscht wird. Das Internet funktioniert am besten, wenn diese Peering-Vereinbarungen frei und häufig getroffen werden.

Diese Arten von Peering-Vereinbarungen und Netzwerkverknüpfungen verringern auch die Latenz für Endnutzerinnen und Endnutzer von Diensten, die über das Internet bereitgestellt werden, ganz erheblich. Die Geschwindigkeit einer Internetverbindung hängt mehr von der Latenz (der Zeit, die es dauert, Daten anzufordern und die Antwort zu erhalten) als von der Bandbreite (der maximalen Datenmenge, die zu einem bestimmten Zeitpunkt über eine Verbindung fließt) ab. Die Latenz ist für viele Anwendungsfälle des Internets entscheidend. In einem kürzlich erschienenen technischen Paper wurde das Beispiel einer Mapping-App angeführt, die auf das Scrollen des Nutzers reagiert. Die App müsste keine unnötigen Daten vorladen, wenn sie als Reaktion auf das Wischen der Nutzerin oder des Nutzers in eine bestimmte Richtung schnell eine kleine Datenmenge abrufen könnte.

In Anerkennung der unzähligen Vorteile ist das abrechnungsfreie Peering zwischen CDNs und ISPs in der Branche weltweit die Norm. Die Betreiber der meisten Netzwerke sind sich darüber im Klaren, dass durch abrechnungsfreie Peering-Vereinbarungen (1) den Kundinnen und Kunden aufgrund der lokalen Bereitstellung des Datenverkehrs die beste Erfahrung geboten wird, (2) die Netzwerke dank der Verfügbarkeit mehrerer Traffic-Wege eine höhere Ausfallsicherheit aufweisen und (3) die Daten lokal ausgetauscht werden, anstatt in größeren Mengen an regionalen Internet-Knotenpunkten gebündelt und aggregiert zu werden. Vereinbarungen zum bezahlten Peering sind dagegen selten und werden in der Regel von Netzwerkbetreibern genutzt, die auf Märkten ohne starken Wettbewerb tätig sind. Wenn ein etablierter TK-Anbieter eine marktbeherrschende Stellung einnimmt oder keine nennenswerte Konkurrenz hat, macht er sich leider weniger Gedanken über die Performance-Einbußen, die er seinen eigenen Nutzern auferlegt, wenn er sich weigert, direktes Peering zu nutzen.

Sehen Sie sich als Beispiel die Karte in Abbildung 2 an. Sie zeigt die Situation in Deutschland, wo der meiste Traffic über Transitanbieter am Internet-Knotenpunkt in Frankfurt ausgetauscht wird. Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben in dieser Situation aus zwei Gründen das Nachsehen. Erstens: Je weiter sie von Frankfurt entfernt sind, desto höher sind die Latenzzeiten für Cloudflare-Dienste. Für Kundinnen und Kunden im Nordosten Deutschlands beispielsweise bedeutet die Entfernung zu den Servern von Cloudflare in Frankfurt, dass sie eine fast doppelt so hohe Latenzzeit haben wie Kunden, die sich geografisch in größerer Nähe zu Cloudflare befinden. Zweitens setzt die Abhängigkeit von einer kleinen Anzahl von Transitanbietern den Datenverkehr Überlastungs- und Zuverlässigkeitsrisiken aus. Die Lösung liegt auf der Hand: Würden sich die großen TK-Unternehmen in allen fünf Städten, in denen Cloudflare über Präsenzpunkte verfügt, mit Cloudflare zusammenschalten, hätte jeder Verbraucher – unabhängig davon, wo er sich in Deutschland befindet – das gleiche hervorragende Interneterlebnis.

Wir haben gezeigt, dass die lokale, abrechnungsfreie Zusammenschaltung den Verbrauchern zugute kommt, indem sie die Geschwindigkeit beim Surfen im Internet erhöht. Doch eine lokale Zusammenschaltung reduziert auch die Menge des Datenverkehrs, der an regionalen Internet-Knotenpunkten zusammenläuft. Wenn ein TK-Unternehmen sich mit einem großen Videoanbieter an einem einzigen regionalen Knotenpunkt vernetzt, muss es die Inhaltsanfragen seiner Kundinnen und Kunden über sein Netzwerk an den Knotenpunkt weiterleiten. Dort werden Daten ausgetauscht, die dann von dem TK-Unternehmen über sein „Backbone“-Netzwerk an die Kundin oder den Kunden zurückgeschickt werden müssen. (Diese Konstellation kann zwar zu einem hohen Datenverkehrsaufkommen führen, doch moderne Netzwerke können die Kapazität untereinander fast ohne Kosten erweitern, indem sie zusätzliche Portkapazitäten hinzufügen. Die Kapazität der Glasfaserkabel in diesem „Backbone“-Teil des Internets ist nicht begrenzt).

Abbildung 3. Ein hypothetisches Beispiel, bei dem sich ein TK-Unternehmen nur mit einem Videoanbieter an einem regionalen Internet-Knotenpunkt vernetzt, zeigt, wie der Traffic am Zusammenschaltungspunkt gebündelt wird.

Lokale abrechnungsfreie Peering-Vereinbarungen sind eine Möglichkeit, den Traffic über diese Zusammenschaltungspunkte zu reduzieren. Eine andere Option ist die Verwendung eingebetteter Caches, die von den meisten CDNs, einschließlich Cloudflare, angeboten werden. Bei diesem Szenario sendet ein CDN Hardware an das TK-Unternehmen, das sie in seinem Netzwerk an lokalen und für das TK-Unternehmen privaten Aggregationspunkten installiert. Fordert die Kundin oder der Kunde Daten von dem CDN an, kann das TK-Unternehmen diese Inhalte an einem lokalen Infrastrukturpunkt finden und sie an die Kundin oder den Kunden zurücksenden. Die Daten müssen nicht über Backhaul-Verbindungen aggregiert werden oder jemals einen regionalen Internet-Knotenpunkt erreichen. Dieser Ansatz ist weit verbreitet. Cloudflare hat Hunderte solcher Implementierungen mit TK-Unternehmen weltweit durchgeführt.

Abbildung 4. Ein hypothetisches Beispiel, bei dem ein TK-Unternehmen eingebettete Caches eines Videoanbieters einsetzt, wodurch der Backhaul und die Aggregation des Datenverkehrs über Internet-Knotenpunkte entfallen

Fazit: Teilen Sie der EU-Kommission Ihre Meinung mit!

Zusammenfassend sind wir der Meinung, dass der IP-Zusammenschaltungsmarkt trotz der mangelnden Bereitschaft vieler großer etablierter europäischer Unternehmen, auf einer abrechnungsfreien Basis zu konkurrieren, gesund ist. Das kommt den europäischen Verbraucherinnen und Verbrauchern zugute. Wir glauben, dass regulatorische Eingriffe, die Anbieter von Inhalten und Anwendungen zu kostenpflichtigen Peering-Vereinbarungen zwingen, dazu führen würden, dass der gesamte übrige Datenverkehr auf langsame und überlastete Verbindungen verwiesen wird. Außerdem befürchten wir, dass dieser Eingriff nichts zur Erreichung der europäischen Ziele des digitalen Jahrzehnts beiträgt und stattdessen das Interneterlebnis für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie kleine und mittelständische Firmen beeinträchtigt.

Es gibt viele weitere Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, sowie Politikerinnen und Politiker, die hinsichtlich der Auswirkungen der Einführung von Netzwerknutzungsgebühren in Europa Bedenken geäußert haben. Eine Reihe von Interessengruppen hat sich bereits zu den Gefahren einer Regulierung des Internet-Zusammenschaltungssystems geäußert: von Gruppen für digitale Rechte über die Internet Society, europäische Video-on-Demand-Anbieter und kommerzielle Rundfunkanstalten, Internet-Knotenpunkte und Mobilfunkbetreiber bis hin zu mehreren europäischen Regierungen und Mitgliedern des Europäischen Parlaments.

Wenn Sie ebenfalls der Auffassung sind, dass größere Eingriffe in die Art und Weise, wie Netzwerke in Europa verknüpft werden, unnötig und sogar schädlich sind, sollten Sie eventuell mehr über das Konsultationsverfahren der EU-Kommission lesen. Während die Konsultation selbst einschüchternd wirken mag, kann jeder eine formlose Antwort einreichen (Frist: 19. Mai). Denken Sie daran, der EU-Kommission mitzuteilen, dass ihre Ziele zur Erreichung der allgegenwärtigen Konnektivität richtig sind, der von ihr in Erwägung gezogene Ansatz aber in die Irre führt.

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